Ein Abend, der die Bibel zum Leuchten bringt: Bibliolog in St. Clara
Publiziert am Freitag 24.10.2025, 14:55 Uhr

„Darum gleicht jeder Schriftgelehrte, der ein Jünger des Himmelreichs geworden ist, einem Hausvater, der aus seinem Schatz Neues und Alteshervorholt.“ (Matthäus 13,52)
Dieses Jesuswort beschreibt gut, was an jenem Mittwochabend, dem 10. September 2025, unsere gelebte Erfahrung war. Im Pfarrsaal von St. Clara versammelten sich 16 Gemeindemitglieder aller Generationen, um im Rahmen der Reihe „Bibel & Agape“ einen besonderen Schatz zu heben: das Wort Gottes, durch die Methode des Bibliologs.
Der Abend begann, wie es der Name der Reihe verspricht, mit einer Agape. Dieses griechische Wort beschreibt die höchste Form der geschwisterlichen Liebe, wie sie in den urchristlichen Gemeinden gepflegt wurde. Bei mitgebrachten Speisen und Getränken öffneten wir nicht nur unsere Tüten und Dosen, sondern vor allem unsere Herzen. Dieses liebevolle Miteinander, das bewusste Teilen und Füreinander-Da-Sein, schuf eine Atmosphäre der Gemeinschaft und bereitete uns darauf vor, auch geistige Nahrung miteinander zu teilen. Wie in den Urgemeinden – nur mit dem kleinen technischen Fortschritt einer praktischen Spülmaschine aus unserer Gemeindeküche.
Gegen 20:15 Uhr begann der eigentliche Bibliolog. Unter der einfühlsamen und kompetenten Leitung von Waltraud van Veen formten wir einen großen Sitzkreis, in dem jeder Platz und jede Stimme Raum hatte. Waltraud gelang es auf bewundernswerte Weise, uns gedanklich aus dem Pfarrsaal in Neukölln abzuholen und auf eine Reise mitzunehmen – rund 3000 Jahre zurück an die Südspitze der Negev-Wüste. Dort, so führte sie uns in die Bibelstelle aus Numeri 21,4-9 ein, stand das Volk Israel nach einer langen, entbehrungsreichen Wanderung von dreißig Jahren vor einem scheinbar unüberwindlichen Hindernis: Der verweigerten Durchquerung des Landes Edom. Doch anstatt die Geschichte einfach nur vorzulesen, machte Waltraud sie für uns erlebbar. An bestimmten Punkten hielt sie inne und stellte uns, als einer fiktiven Person aus der Erzählung, eine Frage. Jeder von uns war eingeladen, in die Rolle dieser Person zu schlüpfen und ihr Herz sprechen zu lassen.
- „Levi, was ist Deine erste Reaktion?“, als du hörst, dass wir Edom nicht
durchqueren dürfen? - „Rinah, was geht in Dir vor?“, während du diese Worte der Verzweiflung
und des Aufbegehrens gegen Gott und Mose sprichst? - „Mose, was geht Dir durch Herz und Sinn?“, bevor du für das murrende
Volk u Gott betest? - „Chaim, was denkst Du?“, als du die bronzene Schlange auf der Stange
siehst?
Was folgte, war kein Bibelkreis im herkömmlichen Sinne, kein Diskutieren oder Diskutieren über historische Fakten. Es war ein Eintauchen in die menschlichen Abgründe und Glaubenskämpfe, die diese uralte Geschichte in sich trägt. Waltraud van Veen ging zu jedem, der eine Antwort geben wollte, hörte mit ungeteilter Aufmerksamkeit zu und wiederholte das Gesagte, um sicherzugehen, dass es richtig verstanden wurde. Dies schuf ein tiefes Gefühl, wirklich gehört und ernst genommen zu werden. Die Antworten aus der Runde waren so vielfältig wie die Gemeinschaft selbst:
Da war Frustration und Wut über die ausweglose Situation, ein zaghaftes Verständnis für das Murren des Volkes, aber auch unerschütterliches Gottvertrauen und kreative Lösungsvorschläge. Manche teilten ihre Gedanken mutig mit, andere, wie ich selbst anfangs, lauschten nur und entdeckten dabei, wie die Worte der anderen auch ihre eigenen, noch unformulierten Gefühle trafen. Es gab kein Richtig oder Falsch, nur ein ehrliches Teilen dessen, was der Text in uns auslöste. Jede Perspektive bereicherte das Bild und ließ die biblische
Erzählung in einem neuen, vielschichtigen Licht erstrahlen. Die 45 Minuten vergingen wie im Flug. Man hätte sicher noch lange so fortfahren können. Dieser erste Abend hat uns gezeigt, welch ein Schatz in dieser Methode und in unserer Gemeinschaft liegt. „Ist es unsere Schuld, dass wir davon erfahren haben? Sicher nicht“, mag man da denken. „Ist es aber unsere Pflicht, den Kreis zu vergrößern, dass weitere Leute an dieser Gnade teilhaben? Ganz sicher ja!“
Wir freuen uns sehr, dass dieser Bibliolog alle vier Wochen stattfinden wird und dass insgesamt sieben Personen aus unserer Gemeinde im Gemeindehaus in
St. Clara dafür geschult wurden. So wird jeder Abend von einer anderen Persönlichkeit vorbereitet und geleitet, was neue, spannende Perspektiven verspricht.
Der Kreis war an diesem ersten Abend bereits groß, aber er kann und soll noch erweitert werden. Wenn auch Sie neugierig geworden sind, die Bibel einmal ganz neu und persönlich zu erleben, dann sind Sie herzlich eingeladen, beim nächsten Mal dabei zu sein. Kommen Sie und heben Sie mit uns aus dem Schatz der Schrift Neues und Altes hervor.
Ein herzlicher Dank geht an Waltraud van Veen für die wunderbare Vorbereitung
und Leitung dieses gelungenen Auftakts.
Harald Schmitt, Mitglied des Bauausschusses